Kunst und Leben sind in den Arbeiten von Angela Vanini (*1964) nicht voneinander zu trennen. Im Spannungsfeld zweier Kulturen zwischen Italien und Deutschland aufgewachsen – da die südländische Metropole Neapel, dort die Peripherie der Ostalb –, galt ihr Interesse früh der Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur und ihrer jeweiligen Existenz in der Jetztzeit. Die zahllosen Portraitarbeiten wuchsen sich so bis heute zu teilweise fast lebensgroßen Figurenbildern aus, die in der dialogischen Auseinandersetzung von Malerin und Modell immer auch 2Fragen nach dem eigenen Selbstverständnis als gegenwärtige Künstlerin und der aktuellen Entwicklung zeitgenössischer bildender Kunst insgesamt aufwerfen. Beruft sich die Malerei von Angela Vanini einerseits zwar vordergründig auf akademisch kunsthistorische Traditionen wie die der italienischen Renaissance, mutet andererseits ihre Beharrlichkeit, selbst an einer staatlichen Kunsthochschule angenommen zu werden, wie eine rituelle Performance zur Überwindung dieser elitären Praxis an: 11 Versuche innerhalb von 15 Jahren (2022–2017), bevor sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart in der Klasse von Christian Jankowski aufgenommen wurde, wo sie im Jahr 2022 ihr Studium abschloss.
Die unmittelbar am eigenen Leib erfahrene Notwendigkeit, in prekären Arbeitsverhältnissen einen bescheidenen Lebensunterhalt verdienen zu müssen, setzt Angela Vanini in der Reihe von 14 Selbstbildnissen in der Serie 450 Euro-Jobs (2016) um. Mit den entsprechenden Attributen versehen ist die Künstlerin so u.a. als Fabrikarbeiterin, Reinigungskraft, Friseurin, Kassiererin oder mit Bewässerungsschlauch in der unternehmenseigenen Bekleidung hantierend in der Gartenabteilung einer Baumarkthandlung zu sehen. Unwillkürlich denkt man angesichts dieser prominent hervorgehobenen Einzelfiguren an die Seitenflügel mittelalterlicher Altarretabel, die der Öffentlichkeit allgemein bekannte Heiligenfiguren mit den ihr je persönliches Martyrium bezeichnenden Werkzeugen wiedergeben. Im Umfeld dieser Allegorien des Alltäglichen taucht im Werk von Angela Vanini auch die Verkörperung der bildenden Kunst selbst als betrügerisches Versprechen und gängige Handelsware auf, die durch und durch von ökonomischen Zwängen geprägt sind: Ich als Schlampe 2022 Öl auf Jute 160 x100 ( Diplomarbeit)
Auf zahlreichen Darstellungen tragen diese Figuren tief über ins Gesicht gezogene Wollmützen, Strumpfmasken, stilisierte Pestarztmasken oder gar Tierköpfe. Abseits von individueller Persönlichkeit nehmen sie mit ihren Maskeraden ebenfalls allegorischen Charakter an, Stellvertreterrollen auf der Suche nach Identifikation und Identität im Verhältnis zwischen Frau und Mann, Subjekt und Objekt, Kunst und Ware. In einer umfangreichen Folge jüngst entstandener Papierarbeiten nimmt Angela Vanini nun das ungewöhnliche Phänomen der Prosopagnosie – der Gesichtsblindheit als medizinischem Krankheitsbild – auf. Die konkreten Physiognomien der gezeigten Personen sind zwar weitgehend reduziert – die Augen ausgelöscht oder geschlossen –, Kopfform, Haarschnitt oder Kleidung sowie einzelne Attribute, wie eine Halskette oder eine Brille, weisen dennoch die portraitierten Charaktere zugleich erkennbar aus, darunter Künstlerkolleginnen und Freunde.
Vollends zum Gesamtkunstwerk verschmilzt Angela Vanini in ihren Flohmarkt-Performances, die sie fotografisch dokumentiert. Im Rahmen aufwendiger Selbstinszenierungen wechselt sie darin vor dem Hintergrund aufgehäufter Erinnerungsstücke unbekannter Herkunft ihre Rollen und Kostüme und verbirgt vielfach ihr eigenes Gesicht mit verschiedenen Kopfbedeckungen, Masken oder unter einem Lampenschirm. Auf heiter-ironische Art nimmt sie so die Gesetze des Marktes auf die Schippe, die im Trödelgewerbe „großes Glück für kleines Geld“ ( Angela Vanini Zitat) zu garantieren vorgeben. Derartige Gesetzmäßigkeiten sieht sie durchaus in Analogie zur zeitgenössischen Kunst – und sozusagen mit dem „großen Geld“ verbunden – wirksam, freilich unter der Voraussetzung, dass auch dort die auf dem Kunstmarkt und im Ausstellungswesen geläufigen Klischees und Rollenbilder hinlänglich bedient werden, selbst wenn deren Darstellerinnen und Darsteller mitunter ihr Gesicht dabei zu verlieren drohen.
Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Stuttgart
„Das Chippendales-Kabinett“
Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Sexualität und Stigmatisierung der Frau.
Das Werk besteht aus 16 nackten Männern, die Tiermasken tragen,
und ist auf Leinbetttüchern gemalt, die ursprünglich von meiner Mutter für meine Aussteuer gekauft wurden. Mit diesem Werk reflektiere ich über Sexualität und die Stigmatisierung von Frauen in der Gesellschaft. Ich setze mich mit meinen persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen auseinander und beleuchte die fortwährende Tabuisierung der weiblichen Sexualität. Die Verwendung von Leinbetttüchern, die ursprünglich für meine Aussteuer bestimmt waren, verleiht dem Werk eine tiefere symbolische Bedeutung. Diese Tücher repräsentieren traditionelle Erwartungen an die Rolle der Frau in der Ehe und Gesellschaft immer noch. Die Darstellung von nackten Männern mit Tiermasken spielt auf das Konzept der Maskierung und Anonymität in der Sexualität an. Es verweist auf die Objektifizierung und Entmenschlichung in sexuellen Beziehungen.
Die Betttücher stehen für die traditionellen Erwartungen an Frauen, das noch in einigen Länder
Tradition ist, da die als Hüterinnen der ehelichen Reinheit betrachtet werden. Ihre Verwendung in diesem Kontext stellt diese Erwartungen in Frage und symbolisiert den Bruch mit konventionellen Rollenbildern.
Die Tiermasken, die die Männer tragen, entpersonalisieren sie und verweisen auf animalische
Instinkte und das Konzept der männlichen Sexualität als unkontrollierbar und entmenschlicht. Dies steht im Kontrast zur oft strengen Kontrolle und Stigmatisierung der weiblichen Sexualität.
Die Darstellung nackter Männer in erotischen Posen kehrt traditionelle Geschlechterrollen um, in denen Frauen häufiger sexualisiert und objektifiziert werden. Hier wird die männliche Nacktheit zur Schau gestellt und hinterfragt die gesellschaftliche Norm der weiblichen Objektifizierung. Mit meinem Werk thematisiere ich die Doppelmoral in Bezug auf die Sexualität der Frau. Während männliche Promiskuität oft toleriert oder sogar gefeiert wird, wird weibliche Promiskuität stigmatisiert und als moralischer Makel betrachtet. Indem ich meine eigene Erfahrung von Stigmatisierung aufgrund meiner sexuellen Vergangenheit offenlege, werfe ich ein Licht auf die anhaltende Tabuisierung und die damit verbundene Scham, die Frauen auferlegt wird. Somit kann mein Werk als feministisches Statement verstanden werden, das die Rechte der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit von gesellschaftlicher Verurteilung verteidigt. Ich verwende meine eigene Lebensgeschichte als Grundlage für das Werk. Die Betttücher, die einst für meine Aussteuer bestimmt waren, repräsentieren die traditionellen Erwartungen an eine Frau, die ich nicht erfüllt habe.
Stattdessen hatte ich mehrere Liebhaber, was zu meiner Stigmatisierung führte.
Die persönliche Dimension dieses Werkes verstärkt seine Aussagekraft und verleiht ihm
Authentizität. „Das Chippendales-Kabinett“ ist meine kraftvolle künstlerische Auseinandersetzung mit der Sexualität und Stigmatisierung der Frau. Ich fordere die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen heraus und eröffne einen Raum für Diskussion und Reflexion über die Doppelmoral und Tabus, die die weibliche Sexualität umgeben. Durch die Kombination meiner persönlichen Erfahrungen und symbolischer Darstellung schaffe ich ein Werk, das sowohl provokativ als auch tiefgründig ist.
„Zyklus“ Öl auf Bettleintuch 210cm/190cm 2021
Das Bild „Zyklus“, reflektiert die verschiedenen Phasen und Rollen der Frauen in meiner Familie. In der Mitte des Bildes sitzt meine Tochter auf einem Stuhl, sie hält ihr Kind in den Armen. Hinter ihnen steht meine Mutter, die liebevoll auf die beiden schaut. Es ist eine Darstellung der Generationen und der Verbindung zwischen Mutter, Tochter und Enkelkind.
In dem Bild bin ich selbst zweimal dargestellt. Einmal stehe ich nackt mit einem Handtuch auf den Schultern vor einem Spiegel. Der Spiegel reflektiert meinen Hinterkopf, was eine introspektive und metaphorische Darstellung sein könnte. Vielleicht symbolisiert es die Suche nach Identität oder die Reflexion über die Vergangenheit.
Die andere Darstellung von mir in diesem Bild zeigt mich fast wie tot am Boden liegend. Diese Darstellung könnte eine tiefe emotionale Ebene haben, die das Vergängliche und die Endlichkeit des Lebens reflektiert. Es könnte eine Metapher für Verletzlichkeit, Vergänglichkeit oder auch Transformation sein.
Insgesamt scheint das Bild „Zyklus“ eine komplexe und tiefgründige Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebensphasen, Beziehungen und Identitäten der Frauen in meiner Familie zu sein, einschließlich meiner eigenen Rolle und Existenz in diesem Zyklus.